Die Katastrophe von Heysel – „The day the football died“

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Stadionplan: Ablauf Katastrophe von Heysel

Gewalt in Stadien ist ein Thema, das in den vergangenen Jahren immer stärker in den Blickpunkt rückt und kontrovers diskutiert wird. Brauchen wir noch mehr Sicherheit? Ist es tatsächlich gefährlich ins Stadion zu gehen? Ist Pyrotechnik bereits die Vorstufe von Gewalt? Haben immer umfassendere Sicherheitskontrollen und massive Polizeipräsenz die viel beschworene „deeskalierende“ Wirkung oder provozieren sie möglicherweise das Gegenteil?

All diese Fragen spielten vor 30 Jahren noch eine eher untergeordnete Rolle. Nicht, dass es damals am Rande von Fußballspielen keine Gewalt gegeben hätte. Im Gegenteil: Schlägereien unter Fangruppierungen gehörten in gewisser Weise dazu, waren aber nicht viel mehr als eine unliebsame Begleiterscheinung.

Mit dem 29. Mai 1985 sollte sich das gründlich ändern. Es war ein wunderbarer Frühsommertag, der ganz Brüssel in eine beschwingte Stimmung versetzte: Sommer, Sonne und viel Vorfreude auf ein großes Europacup-Finale. Juventus Turin gegen den FC Liverpool – zwei der ganz großen europäischen Vereinsmannschaften sollten sich gegenüber stehen. Tausende Fans beider Mannschaften waren in die belgische Hauptstadt angereist. Die Stimmung war ausgelassen, aber entspannt. Bewegte Bilder, die man sich auf Youtube anschauen kann, zeigen italienische und englische Fans, die gemeinsam feiern und trinken. Zeitzeugen berichten, dass die Stimmung, je näher das Spiel rückte, kippte und zunehmend aggressiv wurde. Es gab erste Schlägereien, kleine Messerstechereien. Um die Lage zu entschärfen, wurden die Stadiontore schon drei Stunden vor dem Spiel geöffnet. Kontrollen? Gab es kaum. Wer wollte, kam auch ohne Ticket ins Stadion. Und dann?

„Kollegen, hier passiert gerade etwas….“

Mit diesen Worten meldete sich ZDF-Reporter Eberhard Figgemeier ca. eine halbe Stunde vor dem geplanten Anpfiff aus dem Heysel-Stadion. Das war der Zeitpunkt, zu dem die Katastrophe von Heysel schon längst ihren Lauf genommen hatte. Wo fing es an, was war der Auslöser? Eine Kette unglücklicher Umstände? Gezielter Hass? Unbestritten ist, dass englische Fans den Drahtzaun, der den Liverpooler Block vom Turiner Block trennte, einrissen und den italienischen Block stürmten. Flaschen, Raketen, Steine fliegen, sogar von Pistolen wird berichtet. Menschen fliehen, stürzen.

Bei all dem waren die Kameras live dabei. Noch heute schockieren die Bilder. Aus nächster Nähe kann man zusehen, wie auf dem Boden liegende Menschen von panischen Fans zertrampelt werden, sieht Arme und Beine unter Trümmern herausragen, Fans, die immer noch mit Knüppeln und Steinen Jagd auf andere machen. Menschen, die verzweifelt versuchen, sich aufs Spielfeld oder über eine Mauer zu retten. Sicherheitskräfte, die mit offenen Mündern hilflos auf da Geschehen starren. Viel zu spät werden die Tore in Richtung Spielfeld als Fluchtweg geöffnet. Das marode Heysel-Stadion tut ein Übriges. Die Begrenzungsmauer, zu der hin viele italienische Fans sich geflüchtet haben, stürzt ein. Block Z wird für 39 Menschen zur Todesfalle, 400 weitere sind zum Teil schwer verletzt. Leichen werden aus Menschenbergen gezogen. Blau angelaufene Gesichter. Blut. Weinende und schreiende Menschen. Die meisten Zuschauer im Stadion bekommen nicht mit, was für eine Katastrophe sich da vor ihren Augen abgespielt hat. Die Spieler sind noch in der Kabine – sie wissen von den Tumulten, kennen das Ausmaß der Tragödie jedoch nicht. Um weitere Eskalation zu vermeiden, entscheiden die Verantwortlichen, dass das Spiel stattfindet und mit anderthalbstündiger Verspätung angepfiffen wird. Das ZDF bricht seine Übertragung ab.

Katastrophe von Heysel und die Folgen

Mehrere englische Fans werden nach diesen Ereignissen zu Haftstrafen verurteilt. Im Heysel-Stadion finden lange Zeit keine Fußballspiele mehr statt. Vor zehn Jahren trafen beide Clubs – im Champions-League Viertelfinale – zum ersten Mal nach der Katastrophe wieder aufeinander. „Wir haben 20 Jahre auf diesen Augenblick gewartet“, wird Liverpools Stürmerstar Ian Rush zitiert, der am 29. Mai 1983 in Brüssel auf dem Platz stand.

Nach der Katastrophe von Heysel werden die Sicherheitsbestimmungen in Stadien sukzessive immer weiter verschärft. Fanblocks werden im Stadion und schon beim Anmarsch rigoros getrennt. Zum Teil rigide Sicherheitskontrollen an den Eingängen sind heute obligatorisch. Blocks werden Kamera-überwacht, Risikospiele von riesigen Polizei- und Security-Aufgeboten begleitet. Fankultur steht unter ständiger Beobachtung, Ultra-Fangruppierungen häufig unter Generalverdacht. Stehränge? Sind auch in Deutschland immer wieder in der Diskussion, in England sind sie bereits ganz verschwunden. Diese Entwicklung kann uns gefallen oder nicht. Tatsache ist: Im Heysel-Stadion hat der Fußball seine Unschuld verloren. Die Katastrophe von Heysel – eine Art 9/11 des Fußballs.

PS: Das Spiel endete 1:0 für Juventus Turin. Interessiert hat das keinen.

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