Groundhopping: Über die Sucht nach Fußballreisen

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Groundhopping - zerfallenes Stadion

Das Wort Fan entstammt dem englischen „fanatics“ und steht für die Art von Menschen, welche ihre Interessen in einer obsessiven Art und Weise ausleben und enthusiastisch ihren Aktivitäten nachgehen. Diese Definition trifft sicher nicht auf jeden „Fan“ in der Allianz Arena zu. Fanatisch in Sachen Fußball sind aber ohne jeden Zweifel die Groundhopper – eine Gruppe Fußballsüchtiger, die für den Fußball ein halbes Vermögen ausgeben und zehntausende Kilometer im Jahr reisen, um sich Spiele der dritten, vierten oder fünften ungarischen Liga anzuschauen. Ihre Leidenschaft und ihre Leidensfähigkeit sind bemerkenswert. Wir werfen einen Blick in die Welt der Groundhopper!

Die Ursprünge des Groundhoppings gehen auf das Jahr 1974 zurück und hängen mit einer Idee des Briten Geoff Rose zusammen. Er stellte im „Football League Review“, einer kostenlosen Zeitschrift die zwischen 1965 und 1975 den Spielplänen beigefügt wurde, die Idee zur Produktion einer speziellen Krawatte vor. Das Tragen dieser Krawatte wurde an bestimmte Bedingungen geknüpft: Voraussetzung für das Tragen der Krawatte war der Besuch aller Stadien der vier höchsten englischen Spielklassen – insgesamt 92 Stadien. Die Groundhopper welche die geforderten 92 Stadien als erste bereisten waren Pauline und Alf Small. Ihre 92. Partie war im November 1977 das Heimspiel von Brisol City.

Die Briten und Europa: Auch beim Groundhopping zweigeteilt

Anfang der 90er Jahre begann die Ultraszene in Deutschland zu entstehen. Inspiriert von der südländischen Atmosphäre in Italien wuchs das Interesse an der Stimmung in den Stadien anderer Länder. Die Reise konnte beginnen und das ist bis heute das Kernanliegen der Groundhopper aus „Kontinentaleuropa“. Und mit Kontinentaleuropa ist hauptsächlich Deutschland, Österreich, die Schweiz und Holland gemeint, wo Groundhopping schnell populär wurde.

In England lag von vornherein eine andere Art des Groundhoppings vor. Die wenigsten englischen Groundhopper reisen ins Ausland, sondern konzentrieren sich meist nur auf Großbritannien. Die Briten haben andere Motive beim Groundhoppen die der „Krawatten-Idee“ zugrunde liegen – also das Abhaken der 92 Profiklub-Stadien. Hat man alle 92 Grounds geschafft bereist man Stadien in Schottland, Irland und Nordirland. Anschließend arbeitet man sich nach dem Tannenbaumprinzip immer weiter in die unteren Ligen vor. Ein schier endloses Arsenal an Grounds! So kommt es in England auch mal vor, dass man bei einem 6. Ligaspiel eine zwei- oder dreistellige Anzahl an Groundhoppern vorfindet. Aber es sollte ja nur eine Frage der Zeit sein, sobald der erste Brite alle Grounds abgehakt hat und sich über den Ärmelkanal orientiert.

Organisierte Groundhopper

Kurz nachdem Knacken der 92er Marke durch Pauline und Alf Small wurde mit dem „92 Club“ am 2. September 1978 der erste Groundhopping-Club gegründet. Eine weitere Vereinigung aus Schottland ist in Anlehnung an die Engländer der „38 Club“, was für die Stadien der schottischen Profiklubs steht. In Deutschland wurde nach dem WM-Sieg 1990 Rom als Reiseziel für Fußballfans schlagartig populär. Das Stadtderby zwischen Lazio und AS Rom zog regelmäßig deutsche Fans in die italienische Hauptstadt. Die „Vereinigung der Groundhopper Deutschlands“ ging genau aus einem dieser Derbys hervor, als 1992 neun Groundhopper den Verein gründeten.

Diese Vereinigungen planen allerdings keine gemeinsamen Fahrten oder Treffen, sondern dienen dem gegenseitigen Austausch von Erfahrungen und besonders dem Prestige. Für die Aufnahme im „92 Club“ müssen wie bereits erwähnt alle Stadien der vier höchsten englischen Spielklassen besucht werden. Die Aufnahmekriterien bei den Deutschen sind unlängst härter: 300 Stadien oder 30 Länderpunkte. Erreicht man diese Schwelle darf man vorgeschlagen werden als Mitglied – über die Aufnahme im Verein entscheiden dann die anderen Mitglieder. Übrigens: Das reisefreudigste Mitglied der deutschen Vereinigung hat bereits über 7.000 Stadien besucht und gehört damit wohl zu den verrücktesten Groundhoppern des Planeten.

Groundhopping als Sammelleidenschaft: Das Reglement ist nicht einheitlich

7.000 Grounds sind eine enorme Leistung, jedoch streiten sich die Gemüter in der Frage, was eigentlich als besuchtes Stadion zählt. Im englischen „92 Club“ gilt ein Stadion nur dann als abgehakt, wenn ein Pflichtspiel über die volle Länge betrachtet wurde – bei Nationalmannschaften reichen auch Freundschaftsspiele. Auch in der „Vereinigung der Groundhopper Deutschlands“ läuft es ähnlich: 90 Minuten sind der Anspruch, auch wenn bei unverschuldeten Verspätungen auch eine Halbzeit reicht.

Entscheidend beim Groudhopping ist, dass es keine Kontrollinstanzen gibt, sondern eine Art Ehrenkodex existiert. Dabei spielt der eigene Anspruch eine große Rolle, da für einzelne Hopper auch schon eine Führung durchs leere Stadion als erfolgreicher Ground zählt. Anders sieht es beispielsweise beim englischen Groundhopper Adam Thurston aus: Er berichtete von einem Trip nach Reading, bei dem das Spiel zwischen FC Reading und Fulham zur Halbzeit abgebrochen wurde. Für Thurston zählt dieses Stadion nicht als besucht, weil er kein Spiel über die volle Länge gesehen hat.

Da es sich beim Groundhopping um eine Art Sammelleidenschaft handelt, nehmen sich die Hopper vor möglichst viele Grounds zu besuchen und abzuhaken. Durch die offene Zählweise kommt es häufiger dazu, dass Begegnungen frühzeitig verlassen werden. Oft müssen enge Zeitpläne eingehalten werden, um das nächste Stadion rechtzeitig erreichen und abhaken zu können. Einige Liebhaber der Fußballreisen sehen diese Entwicklung sehr kritisch. Sie hinterfragen, ob es dabei noch um den eigentlichen Sinn gehe, der Liebe zum Fußball!

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