Marseille – Please don´t take me home!

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Stade velodrom marseille frankreich deutschland

Nachdem grandiosen Sieg gegen Italien im EM-Viertelfinale verbrachten wir noch drei Tage in und um Bordeaux – machten eine schöne 100 km Radtour am Atlantik entlang ehe es mit dem Zug von Bordeaux aus direkt in Richtung Marseille ging. Ohne Umstieg fuhren wir für umgerechnet 30 € sechs Stunden mit einem Intercity bis Marseille wo wir Nachmittags zwei Tage vor dem Halbfinale Deutschland gegen Frankreich ankamen.

Der erste Eindruck als wir aus dem Zug ausstiegen war im wahrsten Sinne des Wortes erdrückend. Nachdem das warme aber immer frische Atlantik-Klima uns einige Tage perfekt ausbalancierte, traf uns hier am Bahnhof das schwülwarme Mittelmeerklima völlig überraschend – obwohl es einen eigentlich nicht überraschen sollte, dass es im Juli in Marseille am Mittelmeer sehr warm ist.

Im Antiquitäten-Laden des Tauch-Europameisters von 1962

Wir hatten uns zuvor über Airbnb eine zentralgelegene Wohnung in der Rue Aldebert 10 gebucht. Nach einer kurzen Erholungsphase in der Wohnung ging es wieder raus um Marseille zu erkunden. Keine zehn Meter kamen wir weit, da hielten wir noch in der gleichen Straße an einem Pizza Laden mit drei Tischen auf dem kleinen Gehsteig.

Diese Bude sollte für die nächsten vier Tage unser Stammlokal werden inklusive einer “Promi-Bekanntschaften”. Wir kamen bei unserem zweiten Besuch mit zwei betagten Stammgästen ins Gespräch – bzw. eigentlich nur mit einem. Der andere sagte kein einziges Wort, nicht einmal auf unser freundliches „au revoir“ reagierte der alte Brummbär. Dafür sprudelte es aus Pierre heraus, der uns von seiner Frau, seinen Kindern und seiner Laufbahn als Taucher erzählte, die er in den 60er Jahren mit dem Gewinn der Europameisterschaft krönte. Er zeigte uns seinen Antiquitäten-Laden gegenüber der Pizzeria – Nazi-Abzeichen, Orden der Fremdenlegion und was man nicht so alles findet in solchen Läden.

Wenn wir nicht gerade im Pizza-Laden waren und mit Pierre schnackten besichtigten wir Marseille – ich hatte es mir viel schmutziger vorgestellt. Marseille ist eingebettet in eine hügelige Küsten-Landschaft – ein sehr schöne Rahmen rund um das Halbfinale zwischen Deutschland und Frankreich. Den Tag vor dem Spiel verbrachten wir an einem der vielen Strandbuchten gerade mal 20 min von unsere Wohnung entfernt und ganz in Stadionnähe. Abends konnte man die vielen Restaurants und Cafés rund um den Hafen abklappern und die Abendsonne genießen.

„Don’t take me home, please don’t take me home. I just don’t wanna go to work, I wanna stay here and drink all ya beer! Please don’t, please don’t take me home!“

Matchday – Vögelchen zwitschert mich aus dem Verkehr

Die Nervosität war am Spieltag natürlich deutlich spürbar, sodass wir bereits nach dem Mittagessen ein erstes Beruhigung-Gerstensäftchen der Marke „Kronenbourg“ inhalierten. Vorsorglich kauften wir zwei Sixpacks in unsere Wohngegend – am Vorabend hatte uns ein marokkanischer Ladenbesitzer in perfektem Deutsch vor der „Sperrzone rund um den Hafen herum gewarnt, in welcher der Verkauf von Alkohol außerhalb der Bars und Restaurants verboten sei. Augenzwinkert sagte er uns, dass wir einfach wieder bei ihm vorbeischauen sollten – das taten wir auch und deckten uns bei ihm ein.

Knappe zehn Minuten später war ich aber leider damit beschäftigt, die gerade erworbenen Kostbarkeiten im Müll zu entsorgen. Was war passiert? Ein aufmerksames Vögelchen der Gendarmerie pfiff mit seiner Trillerpfeife quer über die Straße in die Menschenmenge rein – da ich nicht reagierte kam das Vögelchen zu mir rüber und forderte mich auf, das kostbarste was man als Fußballfan bei 30 Grad und horrenden Bierpreisen besitzen kann, einfach in den Müll zu kippen. In meinem Hirn funkten kurz die Synapsen hin und her und berieten sich, ob es vielleicht noch einen Ausweg geben könnte. Wegrennen? Nein, zu viel Polizei weit und breit. Ich fütterte also unter den wachsamen Blicken des Vögelchens die Mülltonne mit vollen Bierflaschen und machte mich mit meinem Bruder auf die Suche nach einer schönen Kneipe. In einer Seitengasse wurden wir fündig. Nicht überfüllt und das 0,5 Liter Bier für 5 €. Um es vorwegzunehmen. Hier blieben wir fast bis zwei Stunden vor Spielbeginn, lernten Maik Hanke (nicht den echten) und andere Koryphäen kennen. Es war ein Heidenspaß sich mit den ganzen Leuten zu unterhalten gepaart mit der Vorfreude auf das Spiel.

Völkerwanderung zum Stadion

Nachdem wir noch schnell einen Happen aßen ging es endlich zum Stadion. Plötzlich rennt die Zeit – man hat den ganzen Tag Zeit gemütlich zum Stadion zu marschieren und dann kommt man doch erst mit Ach und Krach gerade rechtzeitig zu Nationalhymne. Zuvor trafen wir vor dem Stadion unsere Wohnmobilkumpels die erst ein paar Stunden vor Anpfiff von dem 30 km entfernten Campingplatz des Fanclubs Nationalmannschaft in Marseille ankamen. Einige mussten ihre Tickets noch loswerden – auch unsere Kumpels. Unglaublich eigentlich, dass Halbfinal-Tickets für 50 € den Besitzer wechselten. Der reguläre Preis lag bei knapp 300 €. Tja – wer die Ruhe weg hat wird kurz vor Anpfiff mit Schnäppchen-Preisen belohnt.

Blick aus Gästeblock Marseille Deutschland Frankreich

Um zum deutschen Block zu kommen mussten wir um das halbe Stadion marschieren, was sich lange hinzog, sodass wir, wie oben angedeutet, gerade rechtzeitig zur Hymne der beiden Teams unsere Plätze einnehmen konnten. Natürlich standen alle – wir hatten Kategorie 2 Tickets für regulär 180 €. Den Spielverlauf braucht man hier nicht weiter zu erläutern und das Ergebnis ist auch bekannt. Und wie vor vier Jahren in Warschau hieß es für uns wieder einmal: Endstazioni. Der Support der deutschen Fans war stark – nach dem 2 zu 0 für Frankreich kriechte die Enttäuschung in aus rein und dämpfte langsam den Support. Ich hätte so gern ein Tor gesehen für uns – wenigstens einmal jubeln lautet mein Credo bei solchen Touren.

Stade Velodrom – ein optischer Leckerbissen mit toller Akustik

Das Stade Velodrom gehört zu den beeindruckensten Stadien, die ich in meiner langen Zeit als Fußballfan gesehen habe. Das Stadion ist ein architektonisches Meisterwerk. Die vier Tribünen schrauben sich wellenförmig in eine beeindruckenden Höhen von 70 m – die Dachkonstruktion nimmt die Wellenbewegung auf, durch die Höhe der Dachkonstruktion wirkt das Stadion noch mächtiger. Hinzu kommt die Akustik, die einfach phänomenal ist. Wenn das ganze Stadion Stimmung macht wird es so laut, dass man sich kaum noch mit seinem Nachbarn verständigen kann. Also hier wurde von den Architekten richtig gute Arbeit geleistet. Chapeau!

Nach dem Spiel ist vor der Heimreise

Nachdem Spiel verabschiedeten wir unsere Wohnmobil-Crew auf ein Wiedersehen in Russland und marschierten anschließend eine gute Stunde zurück zu unserer Wohnung. Nachtruhe war jetzt angesagt. Am nächsten Tag suchten wir uns eine Rückfahrgelegenheit und entschieden uns dummerweise für eine Fahrt noch am selben Abend über blablacar mit einem übelriechenden und unausgeschlafenen Kauz – alternativ wäre Sonntags ein Rückflug möglich gewesen inklusive zwei weiterer Strandtage. Den restlichen Freitag verbrachten wir dann auch noch bei herrlichem Sonnenschein am Beach ehe wir abends zurück in die Bude fuhren – Sachen packen, Pizza essen inklusive Schlüsselübergabe und einem netten Gespräch mit dem Vermieter. Merci. Au revoir. Auf ein Wiedersehen bei der Titelverteidigung in Russland. Sotschi hat sicher auch schöne Strände.